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Zeit als Ressource neu denken

Zeit

„Wir leben in einer ziemlich seltsamen Zeit, in der der, der keine Zeit hat – also im Stress ist – alles richtig macht. Während, wenn man Zeit hat, macht man irgendwie etwas falsch.“ 

Mit dieser provokanten Beobachtung eröffnet TV-Moderator (PULS 4) & Speaker Phillip Hajszan seinen Vortrag über Zeit, ein Thema, das viele Menschen betrifft, aber selten bewusst reflektiert wird. Dabei ist Zeit nicht nur ein persönliches Gut, sondern zunehmend ein strategisches Thema in der Arbeitswelt: Gesundheit, Motivation, Produktivität, Führungskultur und sogar Employer Branding hängen direkt im Umgang mit Zeit zusammen.

Zeit – eine verlorene Ressource?

Hajszan beschreibt das Phänomen, dass „die Zeit uns zwischen den Fingern zerrinnt“. Obwohl wir alle wissen, dass ein Tag 24 Stunden hat, haben viele Menschen das Gefühl, nicht über ihre Zeit zu verfügen. „Die Zeit ist für uns gestohlen. Wir können sie nicht finden, oder sie ist einfach nicht da.“

Diese Aussage steht sinnbildlich für die Überforderung vieler Mitarbeitender im Alltag. Der Wunsch nach Work-Life-Balance, Work-Life-Blending oder New Work resultiert aus dem wachsenden Wunsch, Zeit bewusster zu gestalten. Und genau hier setzt Hajzan an: Es gehe darum, „unserer inneren Uhr wieder ein Update zu verpassen“ – durch bewusstes Zeitbewusstsein statt starren Zeitmanagement-Regeln.

Was machen wir mit unseren 24 Stunden?

Laut einer Studie der Initiative D21 verbringen Österreicher:innen durchschnittlich 5,5 Stunden pro Tag im Internet. Das summiert sich auf über 83 Tage im Jahr oder hochgerechnet auf das Leben auf rund 18 Jahre. Diese Zahl ist alarmierend, wenn man bedenkt, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch bei lediglich 25 Tagen pro Jahr liegt.

Wir verbringen mehr als dreimal so viel Zeit im Internet wie mit unserer Familie, sagt Phillip Hajszan.

Digitale Überlastung ist keine Phantomdiskussion, sondern ein spürbares Phänomen im Arbeitsalltag. Wir müssen „Digital Wellbeing“, bewusste Pausen und eine gestärkte Medienkompetenz fest in unsere HR-Agenda aufnehmen. In einer Studie des American Press Institute berichteten 30 % der Befragten, dass ihr Wohlbefinden sinkt, je länger sie online sind. Diese Erkenntnis unterstreicht, wie wichtig es ist, achtsame Nutzungsgewohnheiten und klare Auszeiten zu fördern, um digitale Erschöpfung vorzubeugen.

Das Missverständnis namens Zeitmanagement

"Zeit kann man nicht managen. Am Ende einer Stunde sind immer 60 Minuten vergangen – egal, was wir tun", erklärt uns Phillip Hajszan.

Viele Zeitratgeber versprechen mit Systemen und Apps mehr Effizienz. Doch Hajszan warnt davor, den Tag minütlich zu optimieren: "Ich habe Apps, die mich produktiver machen sollen – aber mittlerweile verbringe ich mehr Zeit mit diesen Apps, als sie mir jemals einsparen könnten".

Dieser Widerspruch ist bekannt: Der Wunsch nach Produktivität führt zu Stress – ein Paradoxon, das von der Wissenschaft bestätigt wird. Forschende der University of Cambridge fanden heraus, dass chronisch zu hohe Leistungsanforderungen langfristig zu geistiger Erschöpfung führen und die Kreativität hemmen. Außerdem zeigte eine Studie aus Japan, dass andauernde Überreizung von Nervenzellen im Gehirn den Alterungsprozess beschleunigt und Denk- und Problemlösefähigkeiten verschlechtert.

Tipps vom Profi:

  • Statt minutengenau zu planen, sollten wir Zeitfenster für konzentriertes Arbeiten und bewusste Pausen reservieren.

  • Erfolg sollte nicht an der Task-Anzahl pro Stunde gemessen, sondern an der Qualität und dem Einfallsreichtum unserer Arbeit.

  • In Mitarbeitergesprächen lohnt es sich, über Energiehaushalt und echte Erholung zu sprechen – nicht nur über To-Dos.

Pausen sind produktiv

Ein beeindruckendes Beispiel bringt Hajzan mit dem Fußballstar Lionel Messi. Dieser nehme sich auf dem Spielfeld regelmäßig Pausen von der Defensivarbeit, um seine Energie für entscheidende magische Momente zu bündeln: Wenn wir jede Minute seiner 90 Minuten bewerten würden, würden wir die Magie vom Besten zerstören, betont Phillip Hajzan.

Pausen und Nichtstun als integralen Bestandteil von Leistung zu verstehen, ist eine große Herausforderung in vielen Unternehmenskulturen. Studien bestätigen diesen Zusammenhang. Die Stanford University fand in der Studie "The Productivity of Working Hours" heraus, dass ab etwa 50 Stunden Arbeit pro Woche die Produktivität rapide sinkt. Ab 55 Stunden ist kein signifikanter Mehrwert mehr messbar.

Gute Führung lebt vor: Wer Erholung wertschätzt, zeigt als Vorbild, wie wichtig Pausen für Leistung und Wohlbefinden sind.

Zeit ist begrenzt – und damit kostbar

"Zeit ist wertvoll, weil sie begrenzt ist. Und weil wir nie wissen, wann diese Begrenzung eintritt", ermahnt Phillip Hajszan.

In einem sehr persönlichen Abschnitt erzählt Hajszan die Geschichte eines Paares, das in den Ruhestand starten will – doch der Mann stirbt am ersten Tag der Pensionierung. Der Schock dieses Moments verweist auf eine zentrale Erkenntnis: Viele Mitarbeitende schieben das, was ihnen wirklich wichtig ist, auf die Zeit „danach“. Doch diese Zeit ist nicht garantiert.

Das erinnert an die Erkenntnisse von Bronnie Ware, einer australischen Palliativpflegerin. In ihrem Buch „The Top Five Regrets of the Dying“ beschreibt sie, dass der häufigste Lebensrückblick sei: „Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mein eigenes Leben zu leben.“

Lebensphasenmodelle und Sabbaticals stärken nicht nur die emotionale Bindung ans Unternehmen, sondern eröffnen den Mitarbeitenden auch neue Sinnhorizonte jenseits des Alltags.

Und das Prinzip „Human Centric Work“ bezieht konsequent das Leben außerhalb des Büros in die Arbeitsgestaltung mit ein, um das ganzheitliche Wohlbefinden des Teams zu fördern.

Zeitnutzung ist Priorisierung

Statt Zeit zu managen, schlägt Hajszan vor, Prioritäten zu setzen. Er illustriert das mit einer bekannten Metapher: "Ein Glas, das man zuerst mit kleinen Aufgaben füllt, lässt keinen Platz mehr für große Brocken wie Steuererklärungen oder schwierige Gespräche. Beginnt man hingegen mit den großen Dingen, passt auch das Kleine noch hinein".

Dieses Prinzip ist bekannt aus der Eisenhower-Matrix (wichtig vs. dringend). Dennoch scheitern viele daran. Der Grund liegt oft in mangelnder Selbstkenntnis oder in kulturellen Erwartungen.

Mitarbeitende kann man durch Trainings zur Selbstreflexion und Prioritätensetzung unterstützen und Führungskräfte sollten Zielklarheit und Sinn vermitteln, statt reine Aufgabenlisten abzuarbeiten.

Mehr Freizeit ≠ weniger Stress

Bill Gates sagte voraus, dass wir in 10 Jahren nur noch zwei Tage pro Woche arbeiten könnten. Der britische Ökonom John Maynard Keynes prophezeite schon 1930 eine 15-Stunden-Woche bis 2030.

Doch Hajszan warnt: "Auch mehr Freizeit kann stressen, wenn wir den inneren Druck verspüren, jede freie Minute maximal „sinnvoll“ zu nutzen".

Diese sogenannte Freizeitoptimierung kann zu chronischem Unzufriedenheitsgefühl führen – ein neues Phänomen der Leistungsgesellschaft. 
Daher sollte klar sein: Freizeit ist kein Bonus, sondern Teil eines gesunden Lebensrhythmus.

Erlebnisse als Zeitanker

Ein zentraler Gedanke Hajszans ist, dass das Leben in jungen Jahren „voller erster Male“ ist – erste Liebe, erstes Auto, erste Wohnung. Dadurch fühlen sich diese Jahre länger und intensiver an. Mit dem Alter nehmen diese ersten Male ab und die Zeit „fliegt“.

Dagegen helfen bewusste Erlebnisse: neue Wege, Reisen, bedeutungsvolle Gespräche. Auch hier bestätigt die Forschung: Der Psychologe Dan Gilbert beschreibt in seinem Bestseller „Stumbling on Happiness“, dass unser Zeitempfinden stark mit emotionaler Intensität verknüpft ist.

 

Fazit: Bewusstsein schlägt Taktung

Wir brauchen nicht mehr Zeit – wir brauchen eine Idee, wie wir sie nutzen, bringt es Hajszan auf den Punkt.

Für Führungskräfte ergibt sich daraus ein klarer Auftrag: Mehr als Benefits oder Zeitmodelle zählt das Zeitbewusstsein. Es geht nicht darum, den Kalender voller zu machen, sondern bedeutungsvoller.

Quellen: