Direkt zum Inhalt

Stresskompetenz fördern: Was Unternehmen für mentale Gesundheit tun können

Mental Health

Psychische Gesundheit ist längst kein Randthema mehr – und doch bleibt sie in vielen Unternehmen erstaunlich schwer greifbar. Die Awareness ist da: Man spricht von Resilienz, Achtsamkeit, Wohlbefinden. Die Strukturen sind da: Workshops, EAPs, Coachings, Bewegungsprogramme. Doch oft entsteht ein paradoxes Bild: Je mehr über Mental Health gesprochen wird, desto weniger scheint sich im Arbeitsalltag zu verändern.

„Nur der Wille bringt kein Resultat – entscheidend ist, was du umsetzt“, verrät uns die Mentaltrainerin und Ex-Profisportlerin von RESPIRE Nadine Rass im LSZ-Interview. In ihrem Vortrag „Stressfit in Krisen mit Mental Health“ auf dem Green Business Disruption Summit thematisiert sie das, was viele spüren: Zwischen guter Absicht und echter Umsetzung klafft eine Lücke – nicht nur bei Individuen, sondern auf der Ebene ganzer Organisationen.

Was fehlt? Stress erkennen, statt nur darüber zu sprechen

„Viele Unternehmen verwechseln Burnoutprävention mit Stressvermeidung“, erklärt Nadine Rass. Dabei gehe es gar nicht darum, Stress vollständig zu eliminieren – das sei weder möglich noch sinnvoll. „Stress ist wie eine Welle. Du kannst versuchen, sie zu stoppen. Oder du lernst, sie zu reiten.“ Genau diese Kompetenz – die Fähigkeit, mit Belastung bewusst umzugehen ist eine Seite. Die wichtigste ist dem Menschen RESSOURCEN für die tägliche Performance zur Seite zu stellen - und dies fehlt oftmals. Es werden Konzepte besprochen und evaluiert aber wenn wir fragen, was MACHST du damit es dir gut geht, wird es leise.“  

In vielen Berufsfeldern, besonders im projektgetriebenen IT- und Technologiebereich, gelten Tempo, Agilität und Flexibilität als Selbstverständlichkeit. Doch wer in Hochdruckphasen bestehen will, braucht mehr als mentale Stärke – er braucht Körperintelligenz. Und genau hier liegt laut der Mentaltrainerin eine der größten Lücken: „Im Profisport stellen wir dem Athleten genau diese Ressourcen zur Anwendung zu Seite um zu Performen, nicht erst danach oder im Urlaub. Im Business ist verstärkt der Kopf aktiv – aber der Körper fehlt - obwohl es so simple ist diesen als Stressventil einzusetzen“

Vom Wissen zum Tun: Warum Umsetzung das neue Schlüsselwort ist

Die Ex-Profisportlerin und Stressmanagement-Trainerin kritisiert nicht die Vielzahl an Mental-Health-Angeboten – im Gegenteil. Doch sie warnt vor einem systemischen Missverständnis: Die reine Information, das Erkennen von Mustern oder das Wissen um Tools genüge nicht. „Viele Menschen nehmen sich viel vor – lesen und verstehen viel aber sind frustriert, wenn der Wandel ausbleibt.“ Die Lösung? „Machen. Spüren. Einbauen. Als Routine integrieren - anwenden.“

In ihrer Arbeit nutzt Nadine Rass Prinzipien aus dem Profisport: Mikro-Erfolge, die körperlich wie mental verankert werden. Konkret bedeutet das: In Meetings bewusst atmen. Vor dem Rechner einfache Bewegungsimpulse setzen. Routinen schaffen, die helfen, den eigenen emotional gereizten Zustand des Nervensystems zu regulieren – in weniger als einer Minute.

Ein Beispiel ist die sogenannte Right-Left-Stimulation, die RILE Moves von RESPIRE sind eine Methode, bei der über gezielte Bewegungen beide Gehirnhälften aktiviert und das vegetative Nervensystem heruntergefahren werden. „In 30 Sekunden kann ich damit wieder in mein klares Mindset kommen“, sagt Nadine Rass über die von ihr entwickeltes kurzes Bewegungsprogramm „Das ist keine Esoterik – das ist Alltag im Leistungsbereich der Performer“

Kulturwandel braucht Alltag, nicht nur Initiativen

Eine entscheidende Erkenntnis für Unternehmen lautet: Mental Health ist kein Extra. Sie muss Teil der Arbeitsrealität werden – eingebettet in Strukturen, die ihre Umsetzung ermöglichen. Das bedeutet:

  • Führungskräfte befähigen, nicht nur schulen. Stresskompetenz ist kein Soft Skill, sondern eine essentielle Führungsqualität. Wer Teams führt, sollte lernen, Stress-Signale zu erkennen – und in seinem Verhalten Vorbild sein.
  • Handlungsräume statt Pflichtprogramme schaffen. Ob Stretching, Deep Work, Konzentrationsübungen oder Schweigezeiten in Meetings: Es geht nicht um Vorgaben, sondern um Optionen, die individuell wirksam sind.
  • Eigenverantwortung ermöglichen. „Das Unternehmen kann Angebote machen – aber nutzen muss ich sie selbst“, so die Mental Health Expertin, die mit der RESPIRE Academy mit über 167 Tools zur Stressregulation Unternehmen zur Seite steht.
  •  Resilienz nicht als Wohlfühlbegriff, sondern als organisationales Prinzip zu begreifen. Eine resiliente Organisation schützt nicht vor Stress, sondern sorgt dafür, dass Menschen ihn besser verarbeiten können – individuell und im Kollektiv mit Programmen zur eigenverantwortlichen Anwendung.

Diese Beispiele zeigen, dass durchdachte und auf die Unternehmensstruktur abgestimmte Maßnahmen einen positiven Einfluss auf die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden haben können.

Mentale Gesundheit am Arbeitsplatz systematisch stärken

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) haben im Jahr 2023 erneut die Bedeutung von psychischer Gesundheit im Arbeitskontext betont. Laut dem aktuellen Factsheet Mental health at work (2023) zeigt sich: psychische Belastungen gehören weltweit zu den Hauptursachen für krankheitsbedingte Ausfälle und Produktivitätsverluste. Gleichzeitig machen sie deutlich, dass einfache Maßnahmen – wie die gezielte Schulung von Führungskräften in Stressbewältigung oder ein verbesserter Zugang zu psychosozialer Unterstützung – bereits signifikant zur Verbesserung des Wohlbefindens beitragen können.

Fazit: Stresskompetenz ist lernbar

Der Unterschied zwischen einem mental überlasteten und einem resilienten Unternehmen zeigt sich nicht auf dem Papier – sondern in der Art, wie Menschen auf Druck reagieren. Wie sie mit Konflikten umgehen, mit Rückschlägen, mit eigener Überforderung.

„Viele wissen, was ihnen helfen würde – aber wenden diese Werkzeuge im Alltag zu selten an“, sagt Nadine Rass. Die Gründe sind vielfältig: Zeitdruck, Unsicherheit, Gewohnheit. Doch die Lösung beginnt immer im Alltag: In Momenten der Selbstbeobachtung. In kleinen Handlungen, die wiederholbar sind. In Strukturen, die Raum lassen – nicht nur für Aufgaben, sondern für den Menschen selbst.

Mental Health beginnt nicht in der Unternehmensstrategie. Und auch nicht im Kopf. Sie beginnt dort, wo Verhalten möglich ist: im Arbeitsalltag. In der Umsetzung. Und im Mut, immer wieder klein zu starten – auch wenn die Herausforderungen groß sind.

Erleben Sie die Ex-Profisportlerin und Stressmanagement Trainerin live bei einem unserer LSZ-Events! Mehr zum Thema „Stressfit in Krisen mit Mental Health“ mit Nadine Rass gibt es von 12.-14. Oktober beim CIO Kongress.

Kleine Empfehlung am Rande: Am 20.11.25 erscheint das erste Buch MINDMONKEYS von Nadine Rass - in der Thalia Wien Mitte findet an diesem Tag ab 17.00 Uhr eine Lesung mit Aktivprogramm mit der Autorin statt.

Quellen:
Interview mit Nadine Rass beim LSZ Green Business Disruption Summit 2025
WHO: Mental Health at Work: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/mental-health-at-work

Copyright Foto: Solarisys/Shutterstock.com