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Stille Machtverschiebung: Was KI heute schon entscheidet – und wer morgen noch mitspielt

Lisa

Die neuen Strippenzieher tragen weder Titel noch Krawatte. Sie heißen Recruiting-Algorithmen, Kredit-Engines oder Supply-Chain-Optimizer – und sie treffen heute schon Urteile, für die früher Vorstände nächtelang Präsentationen wälzten.

51 % der Unternehmen nutzen bereits KI im Recruiting, bis 68 % werden es bis Ende 2025 tun, und 82 % setzen KI schon heute zur Vorauswahl von Bewerber*innen ein (ResumeBuilder 2025)

Gleichzeitig fluten Modelle wie „Render“ von Abound den Kreditmarkt: In vier Jahren hat der Londoner Fintech-David fast eine Milliarde Pfund an KI-gestützten Darlehen vergeben und die Gewinnzone im Sprint erreicht (The Times 2025).

Wissen ist kein Machtmonopol mehr

Forscherinnen der JKU Linz beobachten bereits, dass das alte Spiel „Wissen = Macht“ kippt. Wenn generative Systeme Fakten, Muster und Prognosen in Sekunden ausspucken, werden informelle Wissenshierarchien brüchig. Führung verlagert sich vom „Ich weiß es“ zum „Ich kuratiere es“. (Die Presse 2024)

Das weckt Fantasien, aber auch Abwehrreflexe. Die Zürcher Digital Society Initiative warnt: Nicht die Maschine selbst entreißt uns die Kontrolle – sondern jene, die den Datenhahn und die Rechenzentren besitzen. Ihr Einfluss reicht von subtiler Agenda-Setting-Power bis hin zur Möglichkeit, demokratische Strukturen auszuhöhlen. (Gull 2025)

Wenn Algorithmen zu Co-Chefs werden

Ein deutsches Whitepaper analysiert vier Ebenen, auf denen lernende Systeme schon heute in Führungsaufgaben greifen: Strategie, Organisation, Personal und sogar Selbstführung. Wer nur „KI = Automatisierung“ hört, hat die Pointe verpasst: Die Systeme schaufeln Manager*innen Zeit frei – und stellen sie zugleich an den Pranger, weil Partizipation, Transparenz und Wertearbeit plötzlich messbar sind. (Plattform Lernende Systeme)

Die Kehrseite? Machtverschiebung erzeugt Vakuum. Wenn Dashboards entscheiden, welche Filiale Budget bekommt und welche Abteilung Überstunden abbaut, braucht es Menschen, die die Spielregeln erklären, Hintergründe offenlegen und Grenzen ziehen.

Der Preis für Intelligenz fällt – der Einsatz steigt

KI ist heute billiger als Kaffee. Doch jede neue Spar-Flatrate verschiebt die Gewichte noch schneller:

HR: 99 % der Hiring-Manager*innen nutzen bereits KI-Tools, 74 % vertrauen Algorithmen beim Culture Fit (Insight Global 2025).
Finanzen: KI-Scoring verbessert Risiko-Prognosen um bis zu 85 % (Netguru 2025).
Operations: Generative Co-Pilots schreiben Code, planen Routen, verhandeln Einkaufspreise – in Millisekunden.
Kurz: Wer glaubt, noch Zeit zu haben, verwechselt Beschleunigung mit Science-Fiction. Das Rennen läuft, während wir diskutieren.

 

Drei unbequeme Fragen für morgen

  1. Wem gehört die Entscheidungslogik?
    Open-Source-Modelle versprechen Transparenz, doch Compute-Oligopole bleiben die Gatekeeper.
  2. Wer trägt die Haftung, wenn das System sich irrt?
    Governance rutscht vom „Wer hat unterschrieben?“ zum „Wer hat den Prompt gesetzt?“
  3. Wie demokratisieren wir KI-Literacy, bevor sich die Lücke verfestigt?
    Machtverschiebung ist kein Nullsummenspiel – es ist eine Frage der Zugänge und Kompetenzen.

Dein nächster Schritt – oder dein Platz auf der Ersatzbank

Organisationen, die KI als bloßes Effizienz-Tool behandeln, werden selbst zu Tools. Wer dagegen die neue Arbeitsteilung aktiv gestaltet, kann Macht neu verteilen: von Silos zu Communities, von Geheimwissen zu gemeinsamem Lernen.

  • Macht sichtbar machen: Offenlegen, wo Algorithmen heute schon entscheiden.
  • Rollen neu schreiben: Datenkuratorin, Bias-Auditorin, Prompt-Engineer – diese Jobs bestimmen, wie fair und erklärbar KI wirkt.
  • Mut zur Lücke: Hinterfrage jeden „magischen“ Output. Technik darf faszinieren, aber nie mystifizieren.

Die stille Machtverschiebung schreitet voran, ob wir klatschen oder nicht. Bleib Zuschauerin – und du spielst morgen höchstens noch in der Verlängerung eines Spiels, das andere bereits gewonnen haben. Werde Gestalterin – und du definierst, wie fair, nachhaltig und menschlich die nächste KI-Generation agiert.

Die Wahl liegt, leise aber gnadenlos, bei uns.

Quellen:
ResumeBuilder (2025):  
„7 in 10 Companies Will Use AI in the Hiring Process in 2025, Despite Most Saying It’s Biased“,  
online unter https://www.resumebuilder.com/7-in-10-companies-will-use-ai-in-the-hiri… (abgerufen am 29. 07. 2025).

The Times (2025):  
„Profits soar at fintech Abound as borrowers turn to AI loans“,  
The Times UK, 7. 07. 2025, online unter  
https://www.thetimes.com/business-money/companies/article/profits-soar-…?  
(abgerufen am 29. 07. 2025).

Die Presse, 28. Juni 2024
online unter: https://www.diepresse.com/18612845/wie-sich-ki-auf-fuehrung-und-macht-auswirkt (abgerufen am 29. 07. 2025)

Gull, Thomas (2025):  
„KI verschiebt die Macht“, UZH News, 7. Januar 2025,  
online unter https://www.news.uzh.ch/de/articles/news/2025/KI-verschiebt-die-Macht.h… (abgerufen am 29. 07. 2025).

Stowasser, Sascha & Neuburger, Rahild et al. (Mai 2022):  
Führung im Wandel: Herausforderungen und Chancen durch KI.  
Whitepaper der Plattform Lernende Systeme, Arbeitsgruppe Arbeit/Qualifikation und Mensch-Maschine-Interaktion.  
München, online unter https://www.plattform-lernende-systeme.de/files/Downloads/Publikationen…  
(abgerufen am 29. 07. 2025).

Insight Global (2025):  
 AI in Hiring 2025 Survey Report*.  
Insight Global, 1 005 befragte Hiring-Manager in den USA (November 2024),  
online unter https://insightglobal.com/2025-ai-in-hiring-report/ (abgerufen am 29. 07. 2025).

 Netguru (2025):  
 „AI Credit Scoring Boosts Lending Accuracy by 85%: New Industry Study“,  Netguru Blog, 11. Juni 2025,  
  online unter https://www.netguru.com/blog/ai-credit-scoring (abgerufen am 29. 07. 2025).

Foto: shutterstock/Roman Samborskyi