Durchschnittlich zwölf Monate können deutsche Unternehmen eigenen Angaben zufolge ohne US-amerikanische Technologien bestehen. Ohne chinesische sind es nur elf Monate. Diese Zahlen veröffentlichte der Branchenverband Bitkom wenige Tage vor dem „Gipfel für europäische Souveränität“ Mitte November in Berlin, zu dem Deutschland und Frankreich geladen hatten. Grundlage war eine repräsentative Befragung von mehr als 600 Unternehmen mit mindestens 20 Angestellten. 51 Prozent der Interviewten gaben an, „stark abhängig“ von den USA zu sein. Gleiches gilt für die Abhängigkeit von China. In beiden Fällen sind die Werte innerhalb eines Jahres deutlich gestiegen.
„Deutschland und Europa müssen sich aus einseitigen Abhängigkeiten befreien und ihre digitale Zukunft selbst in die Hand nehmen“, forderte Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst und legte damit die Latte für den bevorstehenden Gipfel ziemlich hoch. Die ersten Ergebnisse klangen nach den üblichen Lippenbekenntnissen: Man wolle KI-Innovationen fördern und sich gemeinsam für einen besseren Schutz sensibler Daten einsetzen, versprachen die Initiatoren etwa. Europäische Unternehmen beabsichtigten, weitere zwölf Milliarden Euro zu investieren, um die technologische Unabhängigkeit von den USA und China voranzutreiben, erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz. In den Vereinbarungen sieht er einen „bedeutenden Meilenstein auf dem Weg zu einem digitalen Europa, das souveräner, sicherer und wettbewerbsfähiger ist“.
Prompt hagelte es Kritik von verschiedenen Seiten an derlei „Absichtserklärungen“. Doch bei genauerem Hinsehen gab es auf dem Gipfel durchaus Nachrichten, die Mut machen. So nutzten etliche Unternehmen aus Deutschland und Frankreich die Bühne, um neue Projekte zu starten oder bestehende Partnerschaften ausbauen:
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SAP etwa will in Sachen Krisenvorsorge künftig eng mit dem französischen Cloud-Provider Bleu zusammenarbeiten. Für das Behördengeschäft hat der deutsche Softwarekonzern die Tochter Delos gegründet. Sie soll dem Public Sector Microsoft-Dienste in eigenen Rechenzentren unter eigenere Kontrolle anbieten. Bleu, ein Joint-Venture der Beratungsfirma Capgemini und des Mobilfunkriesen Orange, verfolgt in Frankreich eine ähnliche Strategie. SAP intensiviert zudem seine Partnerschaft mit dem französischen KI-Startup Mistral. Deren Basismodelle sollen künftig auch in deutschen RZs laufen.
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Das Freiburger Startup Black Forest Labs (BFL) will ein neues visuelles KI-Modell vorstellen, das quasi auf Knopfdruck Website-Layouts generieren und verschiedene Bilder und Bildelemente in neue Umgebungen einbauen kann. Am Rande des Digitalgipfels gab BFL bekannt, dass auch Mercedes-Benz die Technologien für Marketing- und Designzwecke nutzen will.
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Das Münchner Rüstungs-Startup Helsing verstärkt ebenfalls seine Kooperation mit Mistral. Die Partner wollen künftig etwa gemeinsam Modelle für den operativen Einsatz entwickeln, beispielsweise für Lagebilder, Zielerkennung oder das Auswerten von Sensordaten.
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Neben weiteren Initiativen und Kooperationen im Bereich Rüstung und KI kündigte Nextcloud an, in den kommenden fünf Jahren 250 Millionen zu investieren. Mit dem Geld will der Open-Source-Spezialist unter anderem seine Cloud-basierten Büro- und Kollaborationsplattformen um KI-Funktionen erweitern. Nextcloud zielt mit seinen Produkten vor allem auf Behörden und Unternehmen, die KI nutzen wollen, ohne ihre Daten an einen US-Anbieter auszulagern.
Schon vor dem Berliner Gipfel gab es diverse Ankündigungen im Bereich KI-Infrastruktur, die durchaus Hoffnung machen. So will die Telekom in München ein KI-Rechenzentrum mit 10.000 Grafikchips von Nvidia bauen. Die Schwarz-Gruppe, Muttergesellschaft von Lidl und Kaufland, investiert elf Milliarden Euro in das „Schwarz Digits Datacenter“, in dem ab 2027 sogar 100.00 Grafik-GPUs arbeiten können sollen.
Schon richtig: Im Vergleich zu ähnlichen Initiativen in den USA oder von US-Konzernen in Deutschland fallen die geplanten Investitionen unterm Strich immer noch bescheiden aus. Und ein Gipfel allein kann die digitale Souveränität nicht retten. Ob der Staat etwa künftig als „Ankerkunde“ für europäische IT-Produkte agieren wird, ist noch längst nicht ausdiskutiert. Dennoch bleibt die Erkenntnis, dass Unternehmen, Behörden und die Politik die ersten großen Schritte getan haben, um Abhängigkeiten zu verringern. Viele weitere müssen folgen.
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