Kürzlich hatte ich das Vergnügen, Teil der Rise of Technology zu sein. Die Veranstaltung war ein Schmelztiegel der neuesten technologischen Entwicklungen und das Hauptthema war – wenig überraschend – Künstliche Intelligenz (KI). Daher möchte ich in dieser Ausgabe, ein Stimmungsbild des Geschehens geben – jedoch aus einer etwas ungewohnten Perspektive, nämlich der einer kritischen, weiblichen und immer noch jungen Tech-Enthusiastin, die mitten im männlich dominierten und vielzitierten „zukunftsverändernden“ KI-Hype steckt.
KI ist DAS hot Topic, ohne Frage. Schillernde Vorträge über mögliche Use Cases und Optimierungsmöglichkeiten on Stage begeisterten das Publikum – tobender Applaus von Männern in Anzügen für Männer in Turnschuhen. Doch wenn man in der Kaffeepause mit Besuchern (hier gibt es leider wenig Grund zu gendern) spricht, wird eins schnell klar – viele wissen gar nicht, was sie mit der neuen Technologie konkret machen sollen. Spannend - ja klar! Aber umsetzen? Keine Ahnung wie oder was genau. Also warten sie erst mal ab und schauen, wie sich das Ganze entwickelt.
Aufbruchsstimmung gepaart mit Überforderung
Die spürbare Aufbruchsstimmung und Begeisterung für glanzvolle Beispiele, unterliegt dann doch der Überforderung: Da helfen auch die lässig wirkenden Turnschuhe der souverän Präsentierenden nichts, wenn in den Unternehmen die eigentlichen Grundlagen – nämlich die Daten inklusive deren Management, Speicherung und Qualitätskontrolle - das eigentlich noch ungelöste Problem sind. Was sich also klar zeigt, ist, dass die Realität nicht ganz so schimmernd ist wie die Vorträge on Stage.
Christian Teurezbacher, Executive Vice President für Digitalisierung und IT der EBNER Group, formulierte seine Gedanken dazu so: „KI – die nächste Sau die durch das Dorf getrieben wird?“ (was ich persönlich für genauso amüsant wie relevant fand) aus seiner jahrelangen IT-Erfahrung teile er, dass „IT-Manager es gewohnt sind, in immer kürzer werdenden Abständen mit neuen Themen konfrontiert zu sein“. KI sieht er persönlich vor allem im Wissensmanagement für sein Unternehmen relevant – ein Use Case der jedenfalls naheliegend und legitim ist - doch noch nicht wirklich das transformative Potential der Technologie ausnützt.
Fehlenden Veränderungsbereitschaft
Die Herausforderungen für Organisationen im Umgang mit KI sind komplex: angefangen von der technischen Komplexität, der noch ungelösten Frage von Business Modellen bis hin zur Frage von geeigneten Use Cases. Eine der schwierigsten Hürden ist die fehlenden Veränderungsbereitschaft der Belegschaft, aus Angst dann bald durch KI ersetzt zu werden. Bei diesem Bild ist es nur verständlich, dass viele zögerlich sind, die vielzitierte zunkunftsverändernde Technologie dann doch zu nutzen.
Was braucht es also wirklich, um KI sinnvoll einzusetzen? Zunächst einmal ist es notwendig Aufklärung zu leisten und Ängste zu nehmen. Im Management genauso wie in der Belegschaft. Es muss in Ordnung sein, noch nicht alles zu wissen. KI stellt uns als gesamte Gesellschaft vor die große Aufgabe, Räume für Fragen aufzumachen. Denn in einer Zeit des Umbruchs, muss es genauso in Ordnung sein, dass CEOs Fragen stellen ohne deren Antwort bereits zu kennen, sowie, dass Mitarbeitende mit neuen Tools experimentieren und den Umgang mit einer neuen Technologie erlernen. Auch wenn dies vielleicht nicht sofort in einem messbaren Erfolg mündet.
Kultur des Ausprobierens
Was es also braucht, ist eine Kultur des Ausprobierens, des Fragen stellen und des Lernens. Denn wenn dieser KI-Hype eines ist, dann ein kollektives Lernen. Wir sehen gerade, dass es nicht „just another tool“ ist sondern das diese Technologie gesamte Wertesysteme verändert an die wir gewohnt sind. Es verändert die Art und Weise wie wir zusammenarbeiten werden, aber auch genauso was Arbeit sein wird.
Genau das führt uns zum Stichwort der Stunde: wir sind mit einer Veränderung konfrontiert, deren Auswirkung noch keiner so wirklich prophezeien kann. Aber eines ist klar – es wird sich viel ändern und was es jetzt braucht, ist eine Vorbereitung darauf und damit Re-/Upskilling.
Eine Reise ohne Ziel
Unternehmen müssen spätestens jetzt damit beginnen, zu lernenden Organisationen zu werden und alle Mitarbeitenden kontinuierlich zu schulen, um Ängste vor Neuem zu nehmen. Denn bei einer Reise, bei der das Ziel noch nicht ganz klar ist, ist das wichtigste flexibel zu sein.
Dies bedeutet, eine Kultur des Lernens und Experimentierens zu schaffen, aber auch Fehler zuzulassen und aus ihnen zu lernen. Man muss als Organisation lernen, sich neu zu erfinden und bisherige Rollen neu denken. Denn was wir sehen, ist das es neue Skills braucht: sei es im tief technischen Bereich um ML-Modelle zu steuern und Agents zu bauen, Schnittstellenfunktionen wie KI-Projektmanager:innen, die eine Übersetzungsarbeit leisten können oder KI-Product Owner, die Produktteams koordinieren.
Mehr Diversität in den Führungsebenen
Als eine der wenigen weiblichen Führungskräfte im Versicherungsumfeld, gab Daniela Park-Graf (CEO Merkur Innovation Labs) eine ähnliche Einschätzung zur Situation ab:
„Der aktuelle KI-Trend wird definitiv viele Aspekte unseres Lebens und Arbeitens verändern - wir müssen uns darauf vorbereiten. Ich stelle mir aber immer öfter die Frage, wer tatsächlich die Weichen für diese Innovationen stellt. In den Unternehmensspitzen sitzen zum Großteil Männer, die in den frühen 2000er-Jahren ihre Karriere begonnen haben. Sie entscheiden über die zukünftige Ausrichtung der KI-Entwicklung. Diese homogene Perspektive auf das was Innovation sein kann, birgt das Risiko, dass innovative Potenziale (und dazu zählt KI) nicht vollständig ausgeschöpft werden. Es ist daher essenziell, dass mehr Diversität in den Führungsebenen Einzug hält, um wirklich innovative und umfassende (KI-) Lösungen mit dem größtmöglichen Business Nutzen entwickeln zu können. Und auch mal Entscheidungen für das Morgen und nicht nur für das Heute zu treffen."
Demokratisierung des IT-Sektors
Damit eröffnet sich eine spannende These: läutet KI eine Ära der Demokratisierung des IT-Sektors ein? Haben plötzlich auch „Fachfremde“ und Quereinsteiger:innen die Chance, eine bedeutende Rolle in der technischen Innovation zu spielen? Es könnte das Ende des „White Men Clubs“ bedeuten und eine vielfältigere, inklusivere Zukunft einläuten. Wenn wir uns darauf einlassen.
Ein Blick in die Realität zeigt folgendes: Meist ist es nach wie vor eine männlich dominierte Gruppe, mittleren Alters, die in der Führungsriege der Unternehmen die Zukunft gestaltet. Ich stelle hier nicht zur Diskussion, warum es so ist und gebe niemandem die Schuld – denn die Gründe dafür sind komplex und würden den Rahmen hier sprengen.
Zukunft inhomogen gestalten
Doch ich stelle mir die Frage: Wie innovativ und inklusiv wird die Zukunft sein, wenn deren Gestalter eine so homogene Gruppe sind? Wir müssen sicherstellen, dass die Entwicklung von KI nicht nur in den Händen weniger bleibt, sondern dass verschiedene Perspektiven und Hintergründe berücksichtigt werden. Daher ist es umso wichtiger, dass genau jetzt so viele unterschiedliche Menschen wie nur möglich in die Gestaltung der Zukunft involviert sind.
Simon Kranzer, KI-Experte der FH Salzburg betonte vor allem die Chancen, die er in der KI-Technologie sieht: „Künstliche Intelligenz ist eine große Chance für alle Menschen in Europa. Wir können sicherstellen, dass dieses Potential im Sinne aller Menschen verwendet werden kann, unabhängig von Geschlecht, eigener individueller Situation, sozialem Status oder Herkunft. Es gilt nicht zu verhindern, sondern Zukunft aktiv und sinnvoll im Sinne der Menschen zu gestalten. Dazu benötigen wir Offenheit und Zutrauen.“
Compliance und Ethik in der KI-Entwicklung
Ein weiteres wichtiges Thema auf der Rise of Tech war auch die Compliance und Ethik in der KI-Entwicklung. Wie sorgen wir dafür, dass KI fair und gerecht bleibt? Denn Bias in den Daten und der Systemgestaltung führt dementsprechend zu Bias in den Ergebnissen. Daher muss die menschenfokussierte (Weiter)Entwicklung im Einklang mit ethischen Grundsätzen stehen.
Carina Zehetmaier, Präsidentin vom Verein Women in AI Austria und CEO von der AI Compliance Plattform Paiper.One dazu:
„Die Sicherstellung von Fairness und Vertrauenswürdigkeit in KI-Systemen ist von zentraler Bedeutung, da Vorurteile in der KI zu Diskriminierung in der realen Welt führen können. Technologie hat keinen Selbstzweck, sie muss uns Menschen zugutekommen und genau das ist auch der Ansatz vertrauenswürdiger Künstlicher Intelligenz und des EU AI Acts. Gesetze und Ethikrichtlinien allein reichen aber nicht, um die Vorteile der KI nachhaltig in die Anwendung zu bringen. Um eine Kultur des vertrauensvollen Umgangs mit KI zu schaffen, braucht es vor allem einen wertezentrierten Ansatz, den Aufbau von Kenntnissen rund um das Thema KI und das richtige Mindset.“
Der Mensch zählt
Zum Abschluss bleibt jedoch zu sagen: sogar bei einer Konferenz, die sich mit den technologischen Entwicklungen und Innovationen beschäftigt, war die Hauptmotivation der Teilnehmenden doch der Mensch. Denn auch wenn ich es kritisch sehe, dass es eine sehr homogene Gruppe ist, die über die Zukunft spricht und sie gestaltet – so bin ich dennoch froh, dass es diesen Austausch gibt. Ich wurde mit großer Herzlichkeit inkludiert und der Wille, Dinge zu verändern ist groß – nur: wie wir alle wissen, ist das manchmal nicht so leicht, da es unterschiedliche Hebel braucht.
KI mischt die Karten neu
Daher appelliere ich an alle Frauen und andere Gruppen: Jetzt ist die beste Zeit sich - auch als Quereinsteigende - in der Tech-Branche zu positionieren. Denn gerade die KI bringt unzählige neue Möglichkeiten, auch ohne versierten Tech-Hintergrund, Fuß zu fassen.
Unlängst habe ich auch jemanden sagen hören, dass KI die Karten neu mischt – denn egal ob Berufseinsteiger:in oder Vorstandsebene – kaum jemand hat jahrelange KI-Erfahrung. Insofern ist JETZT damit anzufangen, das Eintrittstor zu einem gesamten Markt, der gerade erst im Entstehen ist.
Es liegt also in jedermanns und jederfraus Hand, sich dem Neuen einen Schritt näher zu wagen, und selbst offen für Veränderung zu sein. Denn wie bei allem Neuen: wenn keine Frauen zu solchen Events gehen, wird es immer ein Mens Club bleiben – und das vielleicht ohne das es gewollt ist. Denn wie überall im Leben macht die Diversität die Qualität der menschlichen Begegnung aus und das voneinander Lernen wird uns auch keine KI wegnehmen.
In diesem Sinne bedanke ich mich bei allen Männern, die mich auf diesem Weg begleiten und unterstützen. Und lade alle Frauen und andere Gruppen dazu ein, auch Teil davon zu sein, die technologische Zukunft von morgen mitzugestalten!