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Mein Algorithmus, meine Regeln?!

Tech Trendscout Kolumne

Tech Trendscout Kolumne von Lisa Höllbacher

Ob Spotify-Playlist, Netflix-Serie oder LinkedIn-Beitrag: Täglich begegnen mir Inhalte, die wie für mich gemacht scheinen. Als Tech Scoutin fasziniert mich die Technologie dahinter. Als Konsumentin irritiert mich zunehmend das Gefühl, nicht mehr selbst zu entscheiden. Wie viel Kontrolle haben wir über das, was wir sehen, hören oder lesen? Und wann kippt Personalisierung in Fremdsteuerung?

Von Komfort zur Konformität

Personalisierte Empfehlungen sind bequem. Sie ersparen uns Zeit, filtern vor, machen Vorschläge. Doch genau darin liegt die Gefahr: Unsere digitalen Erfahrungen werden zunehmend vorgeformt. Algorithmen bestimmen, was relevant erscheint – basierend auf Verhalten, Likes, Suchverlauf. Das klingt neutral, ist aber ein selektiver Blick auf unsere Identität.

Ich habe beobachtet, wie sich meine Informationswelt verengt hat. Immer ähnliche Themen, immer dieselben Quellen. Vielfalt, Zufall, Widerspruch? Fehlanzeige. Die Algorithmen meinen es gut – und engen doch ein. Besonders spürbar ist das in sozialen Medien: Der Newsfeed spiegelt nicht mehr die Welt, sondern eine algorithmisch berechnete Version meiner selbst.

Mit der Zeit verändert das auch unsere Denkweise. Wir gewöhnen uns an vorhersehbare Reize, an Instant-Bestätigung. Was nicht gefällt, wird weggewischt. Was widerspricht, wird ausgeblendet. So entsteht eine digitale Komfortzone, in der wir kaum noch in Berührung mit dem „Anderen“ kommen. Doch genau dort – im Unerwarteten – beginnt echtes Lernen und Denken.

Die Illusion der Kontrolle

Plattformen bieten uns Einstellungsmöglichkeiten: "Personalisierung verwalten" oder "Relevanz anpassen". Doch wer hat je wirklich durchblickt, wie diese Systeme arbeiten? Welche Parameter entscheiden, was ich zu sehen bekomme? Transparenz fehlt oft, ebenso wie echte Mitgestaltung. Unsere Rolle bleibt passiv. Wir reagieren auf Vorschläge, statt selbst aktiv zu kuratieren.

Und es geht nicht nur um Inhalte. Auch Konsumentscheidungen, Reisebuchungen, Nachrichten, Stellenanzeigen – alles wird gefiltert. Wir glauben, frei zu wählen, doch unsere Auswahl ist oft schon vorstrukturiert. Wer sich auf Empfehlungen verlässt, bekommt selten die volle Palette an Optionen zu Gesicht.

Als Beraterin erlebe ich in Unternehmen ähnliche Muster: Entscheidungssysteme, die Empfehlungen generieren, werden selten hinterfragt. Vertrauen in KI ist groß – die kritische Reflexion jedoch ausbaufähig. Dabei ist gerade das Bewusstsein für die Funktionsweise von Algorithmen entscheidend, um digitale Mündigkeit zu stärken.

Warum das nicht egal ist

Je mehr wir personalisierte Systeme nutzen, desto mehr Daten liefern wir zurück. Unsere Interaktionen trainieren die Modelle weiter. Das führt zu einer Feedbackschleife, die unser Verhalten nicht nur abbildet, sondern mitprägt. Aus Vorhersage wird Steuerung. Wer heute die Aufmerksamkeit lenkt, beeinflusst morgen die Meinung. Plattformen wissen das – und optimieren kontinuierlich auf Klicks, Verweildauer und Engagement.

Was dabei auf der Strecke bleibt? Unsere Fähigkeit zur Irritation, zur Reibung, zur eigenständigen Wahl. Eine Gesellschaft, die Vielfalt und Demokratie leben will, braucht Meinungsvielfalt, Zufälle, Diskurse. Doch wenn jeder nur noch sieht, was seinen bisherigen Mustern entspricht, wird Dialog schwierig.

Zurück zur digitalen Selbstbestimmung

Was also tun? Ich plädiere für einen aktiveren Umgang mit Personalisierung:

  • Reflexion: Welche Inhalte konsumiere ich? Was fehlt mir?
  • Experiment: Neue Quellen suchen, gezielt "Systemirritationen" erzeugen.
  • Kompetenz: Mehr Aufklärung über Algorithmen in Bildung, Unternehmen, Alltag.
  • Regulierung: Plattformen müssen mehr Offenheit und Mitbestimmung ermöglichen.
  • Tool-Kompetenz: Menschen sollten lernen, wie Algorithmen funktionieren, welche Daten sie benötigen und welche Auswirkungen ihr Training hat.

Und: Wir brauchen digitale Räume, die nicht nur optimieren, sondern ermöglichen. Plattformen, die Neugier statt Klicks belohnen. Systeme, die Vielfalt sichtbar machen – auch wenn sie nicht monetarisierbar ist.

Fazit: Empowerment statt Bequemlichkeit

Personalisierte Algorithmen sind nicht per se schlecht. Aber sie müssen eingebettet werden in ein Verständnis von Autonomie und Vielfalt. Wer nicht mündig auswählt, wird algorithmisch geleitet. In einer Welt voller intelligenter Vorschläge ist unsere eigene Urteilskraft wichtiger denn je. Mein Algorithmus? Nur dann, wenn ich seine Regeln kenne – und mitgestalten kann.

Denn am Ende geht es nicht nur um Technik, sondern um Haltung. Wer heute auf die Kraft von KI setzt, sollte genauso stark auf die Kraft des bewussten, kritischen Menschen setzen. Denn nur dann bleibt Technologie ein Werkzeug – und wird nicht zum Maßstab unserer Entscheidungen.