In der ostchinesischen Metropole Hangzhou leben zwölf Millionen Menschen und sechs Drachen. Die „Drachen von Hangzhou“ sind erfolgreiche Hightech-Startups, die besonders im Bereich KI und Robotics gerade weltweit Schlagzeilen machen. Das bekannteste unter ihnen, Deepseek, schockte die KI-Szene im Januar mit einem Sprachmodell, das dem der amerikanischen Branchenriesen mindestens ebenbürtig schien – und dabei offenbar erheblich weniger Rechenleistung und Kapital beansprucht.
Der zweite Drache, Unitree, hat sich auf KI-gesteuerte humanoide Roboter spezialisiert. Mit den menschenähnlichen Robotern „H1“ und „G1“ schickt sich das Startup an, den ganz Großen der Branche das Fürchten zu lehren, darunter Boston Dynamics oder die Tesla-Entwicklung Optimus.
Humanoide Roboter, KI-Agenten, immer leistungsfähigere Foundation- und Sprachmodelle: In der schnelllebigen KI-Szene vergeht kaum eine Woche, in der IT-Verantwortliche nicht mit vermeintlich bahnbrechenden (Neu-)Entwicklungen bombardiert werden. Dass die Technologien nicht nur gehypt werden, sondern praktische Relevanz haben, zeigen zahlreiche Beispiele auch im deutschspachigen Raum. So lässt etwa Mercedes den humanoiden Roboter Apollo vom texanischen Hersteller Apptronik in seinen Fertigungsstätten die ersten Schritte gehen.
Auch Gen-AI-Projekte sind schon seit längerem in vielen Unternehmen auf der Agenda. Doch gerade in jüngster Zeit wird die Kritik lauter: 30 Prozent der Projekte im Bereich generative KI werden 2025 wieder eingestellt, prognostizierte Gartner schon im vergangenen Jahr. Der RoI sei häufig unklar. Marktforscher von IDC berichten, dass ein Großteil der Proof of Concepts (PoC) für KI-Projekte scheitere, es also nicht in den produktiven Betrieb schaffe. CIOs wüssten oft gar nicht, ob ihre PoCs die Zielvorgaben erreichen.
“Wir sehen, dass ein Großteil des mangelnden Erfolgs bei der generativen KI auf etwas zurückzuführen ist, das im Nachhinein offensichtlich ist – nämlich schlechte Daten”, sagt IDC-Experte Daniel Saroff. Und er warnt vor Aktionismus: „Es handelt sich um eine neue Technologie mit einer riesigen Hype-Welle, und die Firmen haben das Gefühl, dass sie sich beeilen müssen, ohne dass sie sich darauf vorbereiten können.”
Die Gründe für ein Scheitern liegen diversen Studien zufolge oft in einer Kombination aus technischen, organisatorischen und menschlichen Faktoren. Besonders häufig wird eine mangelnde Akzeptanz der Mitarbeitenden und unzureichendes Change-Management genannt. Was also tun?
Vielleicht können deutsche IT-Chefinnen und Chefs ja von den chinesischen Drachen lernen: Schnelligkeit ist auch im KI-Zeitalter kein Wert an sich. Die Startups aus Hangzhou waren weder die Ersten noch die Schnellsten. Doch sie profitierten massiv vom langfristigen industriepolitischen Konzept „Made in China 2025“, mit dem die Volksrepublik schon vor zehn Jahren ihren Anspruch auf globale Technologieführerschaft formulierte. Womöglich hilft in Sachen KI-Praxis ja ein altes chinesisches Sprichwort weiter: „Wenn du es eilig hast, gehe langsam.“
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