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„Wer glaubt, es ginge bei sexueller Belästigung um Schuldzuweisung, hat das Prinzip Unternehmenskultur nicht verstanden. Es geht darum, ein Umfeld zu gestalten, in dem Respekt normal ist – und das ist kein ‚Nice-to-have‘, sondern ein Basisbaustein.“ (Nina Alice Bauregger, Geschäftsführerin, Austrian Leadership Academy)
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist in Österreich ein weit verbreitetes und totgeschwiegenes Problem, das sowohl Frauen als auch Männer betrifft. Studien und Umfragen zeichnen ein besorgniserregendes Bild der Situation und unterstreichen die Notwendigkeit proaktiver Maßnahmen seitens der Arbeitgeber:innen. Für fundierte Einblicke haben wir zwei Expertinnen aus der LSZ HR-Community um ihre Einschätzungen gebeten: Nina Alice Bauregger, Geschäftsführerin der Austrian Leadership Academy und Birgit Moser-Kadlac, HR-Geschäftsführerin, ProSiebenSat.1PULS 4 ATV-Gruppe.
Ausmaß und Formen sexueller Belästigung
„Witze sind die Einstiegsdroge für das gesamte Thema. Schnell daher gesagt, in den meisten Fällen im Gespräch mit einer Gruppe und dann im Abschluss bagatellisiert." (Birgit Moser-Kadlac, HR-Geschäftsleitung, ProSiebenSat.1PULS 4 ATV-Gruppe)
Eine Studie der Statistik Austria aus dem Jahr 2021 zeigt, dass 26,59 % aller Frauen zwischen 18 und 74 Jahren, die mindestens einmal berufstätig waren, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt haben. Das entspricht etwa jeder vierten Frau in Österreich. Zu den häufigsten Formen zählen unangemessenes Anstarren oder anzügliche Blicke (20,26 %), sexuelle Witze oder übergriffige Bemerkungen über Körper oder Privatleben (16,21 %) sowie unerwünschter Körperkontakt (14,60 %).
Auch Männer sind betroffen: Eine Umfrage der Arbeiterkammer Wien und der Gewerkschaft vida zur Situation in der Gastronomie im Jahr 2023 ergab, dass 54 % der männlichen Beschäftigten in der Wiener Gastronomie sexuelle Belästigung erlebt oder beobachtet haben. Bei den Frauen lag dieser Anteil sogar bei 79 %
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Was gilt als sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz?
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz kann verschiedenste Facetten haben. Die Übergriffe können visuell, verbal oder körperlich sein bzw. die Form sexueller Erpressung annehmen:
- Anstarren, taxierende Blicke
- Anzügliche Witze, Hinterherpfeifen
- Anzügliche Bemerkungen über Figur oder sexuelles Verhalten im Privatleben
- Eindeutige verbale sexuelle Äußerungen
- Unerwünschte Einladungen mit eindeutiger (benannter) Absicht
- Telefongespräche und Briefe oder E-Mails (oder SMS-Nachrichten) mit sexuellen Anspielungen
- Poster von Pin-ups oder pornografische Bilder am Arbeitsplatz (auch am PC bzw. Mousepad)
- Versprechen von beruflichen Vorteilen bei sexuellem Entgegenkommen
- Androhen von beruflichen Nachteilen bei sexueller Verweigerung
- Zufällige/gezielte körperliche Berührungen (z.B. Po-Kneifen und -Klapsen)
- Aufforderung zu sexuellen Handlungen
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Herausforderungen für Betroffene
"Wenn das Top-Management klarmacht 'Wir dulden keine Übergriffe', haben Betroffene die Sicherheit, dass sie keinen Karriereknick riskieren, nur weil sie Missstände benennen." (Nina Alice Bauregger, Geschäftsführerin, Austrian Leadership Academy)
Trotz der hohen (in)offiziellen Belästigungszahlen melden viele Betroffene Vorfälle nicht. Laut der genannten Umfrage aus der Gastro gaben 28 % der Befragten an, sexuelle Belästigung nicht gemeldet zu haben, da sie sich keine Unterstützung erwarteten. Zudem berichteten 60 %, dass Arbeitgeber:innen nach einer Meldung keine Maßnahmen ergriffen.
Die Angst vor Repressalien oder negativen Konsequenzen führt oft dazu, dass Betroffene schweigen. Hierarchische Strukturen und mangelnde Sensibilisierung im Unternehmen können dieses Schweigen zusätzlich fördern.
„Zuerst braucht es Vertrauen, aufgebaut durch glaubwürdige, transparente und ehrlich gelebte Prozesse,“ betont Nina Alice Bauregger. Wichtig sei, dass alle wissen, wo sie sich melden können – idealerweise auch anonym. „Wer Hilfe braucht, sollte direkt Zugang zu Beratung oder Begleitung haben,“ so Bauregger weiter. Ebenso entscheidend sei eine klare Haltung des Managements: „Wenn das Top-Management klarmacht ‚Wir dulden keine Übergriffe‘, haben Betroffene die Sicherheit, dass sie keinen Karriereknick riskieren, nur weil sie Missstände benennen.“
Auch Birgit Moser-Kadlac hebt hervor, dass Transparenz und Sicherheit essenziell sind: „Ich werde als Betroffene:r nur dann melden, wenn ich weiß, was in Folge passiert, und wenn ich die Sicherheit habe, dass meine Sorgen gehört werden.“ Unternehmen müssten dieses Vertrauen aktiv aufbauen, denn „man muss sich dieses Vertrauen der Kolleg:innen erst erarbeiten.“ Regelmäßige Thematisierung und strukturiertes Vorgehen seien dabei entscheidende Faktoren.
Verantwortung der Arbeitgeber:innen
"Eine gesunde, lustige Unternehmenskultur geht auch ohne Grenzüberschreitungen!" (Birgit Moser-Kadlac, HR-Geschäftsleitung, ProSiebenSat.1PULS 4 ATV-Gruppe)
Arbeitgeber:innen in Österreich sind gesetzlich verpflichtet, ihre Mitarbeiter:innen vor sexueller Belästigung zu schützen und bei Vorfällen angemessene Maßnahmen zu ergreifen. Dies umfasst die Schaffung eines sicheren Arbeitsumfelds, die Implementierung klarer Richtlinien und die Sensibilisierung aller Beschäftigten.
Birgit Moser-Kadlac, Verantwortliche für das Thema der ProSiebenSat.1PULS 4 ATV-Gruppe, betont die Bedeutung einer proaktiven Haltung: "Wir vertreten eine Null-Toleranz-Politik und haben dem Thema in der Unternehmenskultur Priorität eingeräumt." Sie unterstreicht zudem die Notwendigkeit, das Thema offen anzusprechen: "Mir ist wichtig, dass dieses Thema nicht fälschlicherweise unter den Unternehmensteppich gekehrt wird, um sagen zu können 'das gibt’s bei uns nicht'. Wir schauen genau hin!" Moser-Kadlac weiter: Wenn man solche Situationen anspricht (bitte immer und unbedingt), heißt es oft: „Das war schon immer so.“ Ich darf antworten: „Was früher „üblich“ war, war schon damals falsch!“
Bauregger dazu: „War ja nur ein Witz klingt auf den ersten Blick unschuldig, doch damit sucht man aktiv die Zustimmung der Gruppe und übt so sozialen Druck aus. Sobald wir solche Situationen kleinreden, öffnen wir Tür und Tor für übergriffiges Verhalten, das irgendwann ganz offen zu Belästigung wird – wir erlauben, dass es „normal“ wird, Teil unserer Firmenkultur."
Birgit Moser-Kadlac und Nina Bauregger können Sie live am FUTURE OF WORK-Kongress von 21.-22. Mai bei ihrem Workshop „Es war ja nur ein Witz! – Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Awareness für einen inklusiveren Arbeitsplatz“ erleben.
Von Richtlinien zur gelebten Verantwortung
"Papier ist geduldig – und allein verändert es gar nichts." (Nina Alice Bauregger, Geschäftsführerin, Austrian Leadership Academy)
Viele Unternehmen haben Richtlinien gegen sexuelle Belästigung, doch in der Praxis reicht das nicht aus. "Papier ist geduldig – und allein verändert es gar nichts," betont Nina Alice Bauregger, die sich beruflich intensiv mit dem Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz auseinandersetzt. Entscheidend sei eine offene Unternehmenskultur, in der Fragen gestellt werden dürfen, ohne Angst vor Konsequenzen. Wirkungsvolle Maßnahmen umfassen regelmäßige, interaktive Sensibilisierungstrainings, eine konsequente Sanktionierung von Fehlverhalten, geschützte Räume für offenen Austausch und eine kritische Überprüfung von Unternehmensstrukturen. Nur so lasse sich eine Arbeitsumgebung schaffen, in der sich alle sicher fühlen.
Präventive Maßnahmen und Sensibilisierung
"Wir vertreten eine Null-Toleranz-Politik und haben dem Thema in der Unternehmenskultur Priorität eingeräumt." (Birgit Moser-Kadlac, HR-Geschäftsleitung, ProSiebenSat.1PULS 4 ATV-Gruppe)
Prävention spielt eine entscheidende Rolle im Kampf gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Dazu gehören regelmäßige Schulungen, klare Kommunikationswege und die Etablierung einer Unternehmenskultur, die Respekt und Gleichstellung fördert.
Moser-Kadlac berichtet von internen Trainings, die darauf abzielen, Bewusstsein für grenzüberschreitendes Verhalten zu schaffen und Führungskräfte sowie Mitarbeiter:innen zu sensibilisieren. Sie betont: "Wir arbeiten bei uns im Haus präventiv und reaktiv. Einerseits bieten wir Trainings für alle Mitarbeiter:innen an, [...] und versuchen hier aufklärend tätig zu sein – Bewusstsein zu schaffen."
Auch Nina Alice Bauregger hebt hervor, dass Prävention nur dann wirksam ist, wenn sie in den Unternehmensalltag integriert wird. „Der erste große Fehler ist, das Thema nur formal abzuhaken: Richtlinie unterschreiben lassen, Infoblatt verteilen, fertig. Prävention bleibt oberflächlich, wenn sie nicht Teil der gelebten Kultur wird.“ Eine Best Practice für sie sei die Arbeit mit der ProSiebenSat.1 PULS 4 GmbH, wo bereits Sensibilisierungstrainings stattfanden, ohne dass ein akuter Vorfall der Auslöser war. Dort wurden nicht nur Begriffe und Grenzen definiert, sondern auch offene Diskussionen geführt – inklusive Teilnahme der Geschäftsführung. „Genau das stärkt die emotionale Sicherheit am Arbeitsplatz und den Zusammenhalt“, so Bauregger.
Nachhaltige Prävention erfordert klare Prozesse, die für alle leicht verständlich sind, sowie eine konsequente Haltung von Führungskräften. Neben präventiven Maßnahmen helfen auch reaktive Angebote, wie etwa Coaching-Angebote für Verursachende, um Verhaltensänderungen anzustoßen und eine konstruktive Zusammenarbeit weiterhin zu ermöglichen. Bauregger betont, dass Unternehmen durch kontinuierliche Sensibilisierung, echtes Allyship und einen klar strukturierten Meldeprozess eine Unternehmenskultur schaffen können, in der Respekt nicht nur eine Floskel ist, sondern aktiv gelebt wird.
Fazit
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein ernstzunehmendes Problem, das entschlossenes Handeln erfordert. Arbeitgeber:innen sind in der Pflicht, präventive Maßnahmen zu implementieren, Betroffene zu unterstützen und eine Unternehmenskultur zu fördern, die auf Respekt und Gleichstellung basiert. Nur so kann ein sicheres und inklusives Arbeitsumfeld für alle geschaffen werden.
Quellen:
https://www.statistik.at/fileadmin/publications/Geschlechtsspezifische-Gewalt-gegen-Frauen_2021_barrierefrei.pdf
Schutzkonzept gegen sexuelle Belästigung in der Wiener Gastronomie | Arbeiterkammer Wien
https://www.gesundearbeit.at/gesundheit/gewalt/sexuelle-belaestigung/jede-vierte-frau-betrifft-sexuelle-belaestigung-am-arbeitsplatz?utm_source=chatgpt.com
https://wien.orf.at/stories/3251869/?utm_source=chatgpt.com
LSZ-Interview mit Birgit Moser-Kadlac vom 21.2.2025